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Berechtigtes Interesse, gem. Art. 6 I lit. f) DSGVO

In letzter Zeit sehe ich häufig die Rechtsgrundlage des Art. 6 I lit. f) DSGVO, also die Verarbeitung aus berechtigtem Interesse des Seitenanbieters. Schuld ist ein Urteil des OLG Stuttgart Az.: 2 U 63/22 17 O 807/21 .

Der Tenor des Urteils lautet, die Zusendung eines Werbeschreibens kann nach Art. 6 I lit. f) i.V.m. Art. 5 DSGVO rechtmäßig sein. Das Versenden gewerblicher Informationen kann ein berechtigtes Interesse im Sinne der Vorschrift sein.

Das Urteil bietet aber keineswegs einen Freibrief, nun jegliche Verarbeitung auf ein berechtigtes Interesse zu stützen. Das Urteil scheint teils nicht richtig verstanden worden zu sein, dies hat zur Folge, dass diese Rechtsgrundlage seit dem Urteil gehäuft als Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten über ein Kontaktformular verwendet wird. Meines Erachtens deutet dies auf ein mangelndes Rechtsverständnis des Erstellers der Datenschutzerklärung hin.

Was ist ein „berechtigtes Interesse“?

Art. 6 I lit. f) DSGVO erlaubt die Verarbeitung personenbezogener Daten, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen.

Entscheidend ist also jeweils eine Interessenabwägung.

Dies bedeutet nicht, dass die Rechtsgrundlage jedes Mal greift, wenn mir nichts anderes einfällt und ich die Daten so gerne erheben möchte.

„Datenschutz ist Grundrechtsschutz“, wir sind demnach im Grundrechtsbereich und wie immer, beim Eingriff in Grundrechte, muss eine Abwägung der Grundrechtspositionen her. Art. 6 I lit. f) DSGVO benennt die Anforderungen genau, die Voraussetzungen sind:

  • Es muss ein berechtigtes Interesse des Anbieters vorliegen. Dies kann wirtschaftlich, rechtlich, idell sein. Berechtigt ist wörtlich zu sehen, ein Interesse ohne Berechtigung reicht also nicht. Aber auch Werbung kann ein solches berechtigtes Interesse sein, dieses kann wirtschaftlich hergeleitet werden, muss aber eng ausgelegt werden.
  • Desweiteren muss die Verarbeitung zur Erreichung des eben begründeten Interesses auch erforderlich sein.
    Wenn es also mildere, gleich geeignete Mittel gibt, dann sind diese zu wählen.
  • Die Interessen des Betroffenen dürfen nicht überwiegen
    Solch ein Interesse kann sich schon daraus ergeben, dass der Betroffene, Werbung generell widersprochen hat.

Fallgruppen für ein berechtigtes Interesse

  • Direktwerbung (vgl. Erwägungsgrund 47 DSGVO; BGH, Urteil v. 28.5.2020 – I ZR 7/16) Der Erwägungsgrund 47 konkretisiert die Rechtsgrundlage dahingehend, dass diese natürlich wie immer nur in Verbindung mit Art. 5 DSGVO greift. Art. 5 DSGVO beschreibt sehr deutlich, dass u.a. die Zwecke der Verarbeitung für den Betroffenen transparent sein müssen, im Umkehrschluss muß der Betroffene also nicht mit Werbung rechnen, wenn diese Werbung kpl. außerhalb seines Tätigkeitsbereiches liegt. Anders z.B. wenn der Betroffene bereits Kunde ist, dann muss er auch mit Folgewerbung rechnen.  Er muss allerdings nicht mit Newsletterzusendungen rechnen, diese bedütfen einer aktiven Einwilligung, da diese in die jeweilige Persönlichkeitssphäre (per Mail/Brief) eindringen.
  • Betrugsprävention und IT-Sicherheit (z.B. Logfile-Auswertung, siehe OLG Dresden, Urteil v. 30.11.2021 – 4 U 1158/21). Gegen diesen Zweck wird wohl niemand etwas haben, natürlich liegt es im begründeten Interesse des Verantwortlichen und auch des Betroffenen, z.B. über die evtl. Zusendung von Schadsoftware informiert zu werden, die der Verantwortliche ohne Wissen, aufgrund eigenen Befalles weitergeleitet hatte.
  • Durchsetzung von Rechtsansprüchen
  • Interne Verwaltungszwecke innerhalb eines Konzerns
    So z.B. die Information über eine spezielle Mailadresse für die Zusendung von Rechnungen, Info über Ansprechpartnerwechsel u.ä.

Mein Lieblingsthema Kontaktformular

Wie sieht es denn nun bei der Verarbeitung über Kontaktformulare auf Webseiten aus? Dort sehe ich momentan gefühlt ständig den Art. 6 I lit. f) DSGVO.

Antwort: Es kommt darauf an! Oder auch, man kann sich etwas Mühe geben.

Aktuelle Rechtsprechung & Aufsichtsbehörden

  • Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden (DSK) sieht die Kontaktaufnahme über das Formular grundsätzlich als „vorvertragliches Verhältnis“ Artt. 6 I lit. b), 5 DSGVO i.V.m. §§ 311 II, passende Vertragsnorm BGB) Dies greift, wenn klar ist, dass die Kontaktaufnahme des Betroffenen darauf abzielt, sich über die Leistungen/Produkte des Unternehmens zu informieren, also Anfragen zu Produkten, Dienstleistungen oder Support, die später ggf. erworben werden.
  • Andere Anfragen, die nicht unter ein vorvertragliches Verhältnis fallen, wie z.B. allgemeine Fragen, Presseanfragen, Lob/Kritik benötigen eine andere Rechtsgrundlage. Hier kommt oft das berechtigte Interesse in Betracht (Art. 6 I lit. f) DSGVO). Ich halte dies für falsch, denn durch die Absendung des Formulars (natürlich nach korrekter Belehrung), erteilt der Nutzer (Berechtigte) ganz klassisch seine Einwilligung für die Verarbeitung, gem. Art. 6 I lit. a) DSGVO, die er jederzeit ohne Angabe von Gründen auf dem gleichen Weg widerrufen kann. Allein die Dokumentationspflicht des berechtigten Interesses inkl. der gesetzlich geforderten Grundrechtsabwägung erscheint mir doch als „mit Kanonen auf Spatzen“ und ist aus meiner Sicht daher abzulehnen. Auch glaube ich nicht, dass die Abwägung wirklich durchgeführt und dokumentiert wird.

Was sagt der BGH

Bislang liegt keine höchstrichterliche Entscheidung speziell zu Kontaktformularen und Art. 6 I lit. f) DSGVO vor. Die Gerichte lassen aber erkennen, dass ein berechtigtes Interesse – etwa an der Kommunikation und Verbesserung des Service – durchaus anerkannt werden kann. Natürlich nur und ausschließlich in Verbindung mit Art. 5 DSGVO. Aus meiner Sicht, wie gesagt, überhaupt nicht notwendig, daher kann die Betrachtung dahinstehen.

Fazit

Ich benötige diese Rechtsgrundlage nur sehr selten, denn fast immer geht es besser und wenn es besser geht, dann ist dem Transparenzgebot des Art. 5 I lit. a) DSGVO ebenfalls entsprochen.

Was viele nicht bedenken ist, dass eine Weiterverarbeitung, also die nach der Erhebung der Daten über das Kontaktformular eine neue, eigene Rechtsgrundlage benötigt. Je nachdem, worum es sich handelt, z.B. Weitergabe in ein KI gestütztes Beantwortungssystem, greift das berechtigte Interesse vlt. nicht mehr und es wird trotzdem die Einwilligung des Betroffenen benötigt. Auch ist eine Einwilligung im Falle eines Rechtsstreites besser zu belegen als die Grundrechtsabwägung, die ein sorgfältiger Richter u.U. in der Luft zerreißt. Aber man kann es sich wie immer schwer machen oder eben nicht.

FAZIT: Die Verarbeitung aus berechtigtem Interesse ist kein Freifahrtschein und meine Empfehlung wäre, genau abzuwägen, ob nicht eine andere Rechtsgrundlage einfacher und genauso gut greift und besser zu dokumentieren ist.

Klugschiß:

Art. 5 I DSGVO beginnt mit: „Personenbezogene Daten müssen…“

Dies bedeutet, dass Art. 5 DSGO, egal, auf Basis welcher Rechtsgrundlage verarbeitet wird, zwingend mit ins Boot muß. Daher lautet die korrekte Angabe der Rechtsgrundlage immer mindestens: Art. 6 I lit x i.V.m. Art. 5 DSGVO.